Tina |
Dieser Bericht ist von Tina. Er ist leider sehr traurig aber sehr offen und hilfreich geschrieben. (20.10.2002) |
Liebe Chrissi, lange Zeit habe ich gezögert, ob ich dir meinen Hyperemesis-Erfahrungsbericht schicken soll, aber mittlerweile bin ich zu dem Schluss gekommen, dass auch meine Erfahrungen und damit verbundenen Entscheidungen von anderen Betroffenen gelesen werden sollten. Ich habe mich in meiner zweiten Hyperemesis-Schwangerschaft in der 10. Wochezu einem Schwangerschaftsabbruch entschieden ... Nun aber eine etwas ausführlichere Darstellung: Mein erstes Kind ist nach einem jahrelang unerfüllten Kinderwunsch durch eine in-vitro-Fertilisation entstanden. Ich gehörte zu dem geringen Prozentsatz an Frauen, die durch die Behandlung ein sogenanntes Überstimulationssyndrom 3. Grades entwickelten. In diesem Zusammenhang habe ich zu Beginn der Schwangerschaft binnen 3 Tagen 12 Liter Wasser im Körper, u.a. auch in den Lungen, eingelagert. Meine Situation war sehr ernst, und das Thema Schwangerschaftsabbruch stand ständig im Raum. (Durch einen Schwangerschaftsabbruch hätte sich das Überstimulationssyndrom schnellzurückgebildet). Als nach ca. 3 Wochen eine Besserung eintrat (ca. 8. SSW), wurde es mir fürchterlich übel. So wurde ich kurz nach meiner Entlassung aus dem Krankenhaus wieder eingeliefert. Ich bekam das übliche Vomex-Infusionsprogramm und kotzte, durch das Überstimulationssyndrom körperlich und psychisch schon völlig geschwächt, fassungslos vor mich hin. Der Wunsch, diese Horror-Schwangerschaft abzubrechen, wurde immer stärker. Ich hatte massive Auseinandersetzungen mit meinem Mann, der mich vor diesem folgenschweren Schritt bewahren wollte, konnte seine Haltung aber nicht verstehen, da ich keine Perspektive sehen konnte. Letztendlich war ich aber dennoch zu feige, die Schwangerschaft abzubrechen. Eine Entlastung empfand ich dann bei meinem zweiten Krankenhausaufenthalt, als ich eine liebenswerte Bettnachbarin bekam, die mit einem vorzeitigen Blasensprung und einer drohenden Frühgeburt im Krankenhaus lag. Wir beide haben uns unheimlich gut verstanden und die schlaflosen Nächte mit Reden über die Runden gebracht. So konnten wir uns gegenseitig in dieser schweren Zeit stützen. Ihr Frühchen ist jetzt mein Patenkind!! Die Ärzte und Schwestern haben sich so gut wie überhaupt nicht um mich gekümmert. Manchmal musste ich einen halben Tag warten, bis jemand Zeit fand, mir eine neue Infusionsnadel zu legen. Wunschkost oder ein anderes Therapieangebot als Vomex gab es nicht. Wenn ich nach dem Grund für die schreckliche Übelkeit fragte, wurde mir gesagt, dass dies wahrscheinlich an meiner psychischen Situation liege. Ich schämte mich fürchterlich und war der Meinung, selbst Schuld an der Übelkeit zu sein. Nach der 16. Woche ging es mir insofern besser, als dass es mir noch ständig übel war, ich mich aber nur noch ca. alle zwei Tage übergeben musste. Ich wurde aus dem Krankenhaus entlassen und schleppte mich zu Hause von Tag zu Tag. Mal ging es mir besser, mal schlechter. In der 20. Woche zeigte sich durch eine Ultraschalluntersuchung ein Verdacht auf Trisomie 21. Wir haben uns gegen eine Fruchtwasseruntersuchung entschieden und mit diesem Verdacht bis zum Ende der Schwangerschaft gelebt. Glücklicherweise habe ich dennoch einen gesunden, wenn auch nur 2000 Gramm schweren Jungen bekommen. Mit der Geburt hat dann auch die Übelkeit aufgehört, und ich war mir sicher, dass die Aussage der Ärzte "psychische Überforderung" in meinem Fall zutraf. Als unser Sohn ein Jahr als war, wünschten wir uns ein zweites Kind. Unsere Hoffnung, dass die Chancen, auf natürlichem Weg ein Kind zu bekommen, größer sind, wenn der Körper einmal schwanger war, bestätigten sich nach 4 Monaten. Ich war wieder schwanger und unendlich glücklich. Übel war es mir jedoch schon, bevor ich überhaupt wusste, dass ich schwanger bin. Leider wurde dieÜbelkeit von Tag zu Tag schlimmer, und in der 6. SSW war ich nicht mehr in der Lage, meinen kleinen Sohn zu versorgen. Ich war fassungslos angesichts der Tatsache, dass es mir trotz der völlig veränderten Ausgangslage wieder so schlecht war und völlig verzweifelt, da ich nicht mehr wusste, wie ich der Verantwortung gegenüber meinem Sohn gerecht werden sollte. Ein fataler Kreislauf begann. In der 7.SSW war ich bei einer Körpergröße von 159 cm und einem Ausgangsgewicht von 44 kg bereits bei 41 kg angelangt. Aufgrund meines eh niedrigen Ausgangsgewichtes wurde ich sofort ins Krankenhaus eingeliefert. Dort bekam ich wieder das übliche Vomex-Infusionsprogramm (von dem ich wusste, dass es mir nicht hilft) und fristete mein Dasein auf einem Zimmer zusammen mit einer Tumor-Patientin, die die ganze Zeit weinte. Ein Zimmerwechsel war laut Aussage der Schwestern nicht möglich. Meine Verzweiflung wuchs. Ich wollte nur noch nach Hause, um mir das Elend meiner Bettnachbarin nicht mehr mit ansehen zu müssen und um wieder mit meinem kleinen Sohn zusammen sein zu können, der mich brauchte und den ich schrecklich vermisste. So verkündigte ich nach einer Woche, dass es mir etwas besser gehe und wurde entlassen. Zu Hause kam ich natürlich nach meinem Krankenhausaufenthalt genauso wenig zurecht wie vorher, und meine Lage erschien mir aussichtslos. Der Gedanke, die Schwangerschaft abzubrechen, wurde immer präsenter, ich konnte keinen anderen Ausweg mehr sehen. Mein Mann war auch dieses Mal aus den gleichen Gründen wie in der ersten Schwangerschaft gegen den Abbruch. In der 9. SSW wog ich dann nur noch 38 kg, war psychisch total am Ende und hatte fürchterliche Unruhezustände. Zu diesem Zeitpunkt hatte mein Mann von einem neuen Medikament gegen die Übelkeit (Remergil), mit dem an der Uni-Klinik Bonn in der Abteilung für psychosomatische Gynäkologie geforscht wird, erfahren. Ich wurde in die Uni-Klinik eingeliefert und am darauffolgenden Tag von einer Psychiaterin darüber aufgeklärt, dass das Medikament bislang noch nicht in der 9. SSW, sprich im ersten Trimenon, angewendet wurde und die Möglichkeit von Missbildungen noch nicht geklärt sei. Gegen meine Unruhezustände, von denen man behauptete sie seien psychischen Ursprungs, sollte ich ein Beruhigungsmittel (Tavor) nehmen. In meiner Verzweiflung willigte ich ein. Trotz der Medikamente fühlte ich mich kaum besser, im Gegenteil, ich konnte die Angst vor möglichen Missbildungen nicht aushalten, weshalb ich mich entschied, die Medikamente nicht weiter zu nehmen. Meine Hoffnungslosigkeit steigerte sich ins Unendliche. Da wir zufällig Wochenende hatten, kam die mich betreuende Psychiaterin natürlich auch nicht mehr. Nach dem Wochenende meinten die Gynäkologen dann, dass aufgrund meines schlechten körperlichen Zustandes ein zentraler Venenkatheder (ZVK) zur künstlichen Ernährung gelegt werden müsse. Ich hatte fürchterliche Angst davor, von nun an ohne Aussicht auf Besserung über Wochen künstlich ernährt zu werden und bat um den Schwangerschaftsabbruch. Daraufhin kam meine Psychiaterin und führte mit mir ein Schwangerschaftskonfliktgespräch, in dem sie mir aufzeigte, welche Gedanken ich nach einem Schwangerschaftsabbruch haben würde. In diesem Zusammenhang kamen Fragen wie: "Werden Sie jemals wieder in einen Kinderwagen blicken können?" und "Ist es dieses Kind nicht wert durchzuhalten?" Danach war ich in meiner Verzweiflung so tief, dass ich es nicht mehr gewagt habe, die Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch zu treffen und nur noch hoffte zu sterben. Dann kamen die Gynäkologen, um den ZVK zu legen, und wie es das Schicksal wollte, ist ihnen dies zweimal misslungen. Sie haben ihn neben die Vene gelegt und mich dabei fürchterlich gequält. Damit war mein Durchhaltevermögen soweit überschritten, dass ich einen weiteren Versuch verweigert und mich für den Schwangerschaftsabbruch entschieden habe. Einen Tag nach dem Abbruch ging ich dann nach Hause, ich wollte nur noch raus aus dem Krankenhaus! Beim Entlassungsgespräch machte mich der Assistenzarzt darauf aufmerksam, dass mein ß-HCG exorbitant hoch und in diesem Zusammenhang eine Schilddrüsenüberfunktion entstanden war, weshalb ich die Schilddrüse in ein paar Wochen überprüfen lassen sollte. Als ich nebenbei fragte, welche Symptome eine solche Schilddrüsenüberfunktion machen könnte, erklärte er mir, dass dies zu Unruhezuständen und Herzrasen führen kann. Da war also die Erklärung für meine angeblich psychisch bedingten Unruhezustände. Und mich hat man einfach im Glauben gelassen hat, meine Unruhezustände seien psychisch bedingt! Mittlerweile ist der Abbruch zweieinhalb Monate her, und ich habe mich körperlich wieder einigermaßen erholt. Der Schwangerschaftsabbruch macht mir schwer zu schaffen, und ich vermisse dieses Kind sehr. Ich bin mir sicher, dass meine problematischen Erfahrungen in meiner ersten Schwangerschaft dazu beigetragen haben, dass ich der Hyperemesis und den damit verbundenen Eingriffen und Krankenhausaufenthalten so hilflos gegenüberstand, aber sie waren mit Sicherheit nicht die Ursache. Ich bin sehr traurig darüber, dass ich es beim zweiten Mal nicht geschafft habe durchzuhalten, aber neben der Trauer macht sich auch eine unendliche Wut über die Ärzte und Krankenhäuser breit, die an den alten Schemata und Erklärungsmodellen zu Hyperemesis gravidarum festhalten und sich nicht einmal die Mühe machen, ein Konzept zu entwickeln, das betroffenen Frauen helfen kann, diese schwere Zeit zu meistern (wenn es schon kein Medikament gibt!). Trotz dieser fürchterlichen Erfahrung möchte ich allen, die meinen Bericht lesen, nicht den Mut nehmen, eine zweite (beim ersten Mal weiß man es ja noch nicht) Hyperemesis-Schwangerschaft zu wagen. Ich bin mir sicher, dass frau das schaffen kann, wichtig erscheint es mir jedoch, sich von vorne herein darauf einzustellen, dass die Übelkeit wieder auftreten wird und alles darum herum gut durchzudenken und zu planen. Damit meine ich im Einzelnen: - den/die Gynäkologen/in bitten, das er/sie sich über die neuesten Studien und damit verbundenen Therapiemöglichkeiten informiert und einem diese erläutert - frühzeitig zum Arzt gehen und nicht so lange abwarten, bis es nicht mehr geht - sich gut über Krankenhäuser in der Umgebung und deren Therapieangebote informieren - sich überlegen, wer den Haushalt und die Versorgung der Kinder übernehmen kann - sich überlegen, was einem gut tut, z.B. Massagen, Entspannungsangebote und wo man diese Angebote in Anspruch nehmen kann - sich frühzeitig nach einer Hebamme umschauen, die Erfahrung darin hat, eine schwierige Schwangerschaft zu begleiten - sich überlegen, ob es für einen hilfreich sein könnte, psychologische Begleitung in Anspruch zu nehmen und wer das gegebenenfalls machen könnte Diese Liste ist aus der Reflexion meiner individuellen Erfahrung erwachsen und sicherlich erweiterbar ... Liebe Chrissi, ich danke dir herzlich dafür, dass du mit dieser Homepage ein Forum für Frauen geschaffen hast, ihre Erfahrungen in dieser schwierigen Zeit mitzuteilen und drücke allen Frauen die Daumen durchzuhalten! Viele liebe Grüße, Tina Liebe Chrissi, unser zweiter Sohn wird am 21.06.05 ein Jahr alt. Oft habe ich nach seiner Geburt daran gedacht, meinem Bericht vom Jahr 2002 die folgenden Erfahrungen noch zuzufügen. Seinen ersten Geburtstag möchte ich nun zum Anlass nehmen, dies auch endlich zu tun... Nach dem Schwangerschaftsabbruch, von dem ich vor nunmehr knapp 3 Jahren berichtet habe, ging es mir psychisch sehr schlecht. Ich konnte es einfach nicht akzeptieren, dass ich es nicht geschafft habe, diese so sehr gewünschte SS durchzustehen. Dies führte dann auch nach zahlreichen Gesprächen und Überlegungen zwischen meinem Mann und mir zu der Entscheidung, dass wir noch einmal eine SS versuchen wollen. Wir brauchten nochmal eine "Chance". Wir haben uns überlegt, wie für mich ein Maximum an Entlastung entstehen, unser erster Sohn optimal versorgt werden kann und in welches KH ich gehen möchte, wenn ich den Eindruck habe, es zu Hause nicht mehr zu schaffen. Außerdem habe ich das Magenbakterium Helicobacter eradizieren lassen. So hat mein Mann Erziehungsurlaub genommen, ich bin arbeiten gegangen, und wir haben im Vorfeld mit den Ärzten des von uns gewählten Krankenhauses gesprochen. Auch die Möglichkeit eines Schwangerschaftsabbruches haben wir uns einvernehmlich offen gehalten für den Fall, dass es trotzdem unerträglich wird. Ich wurde auch tatsächlich schwanger, und mir ging es quasi vom ersten Tag an schlecht. Die leise Hoffnung, der Helicobacter könnte der Grund meiner Übelkeit sein, hat sich also nicht erfüllt. Es war schrecklich, aber unser geplantes Entlastungs-System schien zu greifen. Ich wurde sofort krank geschrieben und habe es mit eiserner Selbstdisziplin geschafft, ohne eine einzige Infusion auszukommen. Es gab immer wieder Situationen, in denen ich dachte, dass ich es nicht schaffe, aber ich konnte mir immer wieder vor Augen führen, wie unglücklich ich vor der SS war. So habe ich von Anfang an ständig versucht zu essen und zu trinken und habe mich nur um mich gekümmert. Die Verantwortung für unseren ersten Sohn habe ich voll an meinen Mann abgegeben, der diese Aufgabe fantastisch erfüllt hat. In der 16. Woche kam dann der große Schock. Unsere kleine Tochter hatte eine Schwerstbehinderung (Trisomie 13) und starb. Wir waren starr vor Entsetzen. Danach konnten wir uns keine SS mehr vorstellen. Aber wie es das Schicksal so wollte, war mein Zyklus nach der Geburt unserer Tochter so durcheinander wie unsere Gefühle. Ich hatte in einem Zyklus einen zweiten Eisprung und wurde am 32. Zyklustag schwanger. Zuerst war ich geschockt, denn ich wollte keine weitere SS mehr durchstehen. Aber nun war es so. Unser Helfer-System war noch intakt und mein Mann konnte seinen Erziehungsurlaub verlängern. So haben wir diese SS im wahrsten Sinne es Wortes gemeistert, unter massiven Ängsten und vielen anderen Schwierigkeiten außer der Hyperemesis. Die Übelkeit war entsetzlich und ich kotzte noch bis kurz vor der Geburt, aber ich benötigte keine Infusionen, was ich größtenteils auf meine eiserne Disziplin und die fantastische Unterstützung zurückführe. Wille und Glauben können manchmal Berge versetzen!!! Ja, und am Ende wurde uns das fantastische Geschenk eines gesundes Sohnes zuteil. Jetzt kann ich auch nur noch sagen "Ich möchte niiiiiiiiiiiie mehr schwanger werden" Dass die Eradikation des Helicobacters nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat, mag für manch eine entmutigend sein, aber es ist nun eben eine Erfahrung, die ich weitergeben möchte. Andererseits mag vielleicht unsere Erfahrung mit unserer Heran- und Umgehensweise mit dem Problem Hyperemesis auch für andere Paare interessant sein. In diesem Sinne schicke ich dir, liebe Chrissi, mit ganz herzlichen Grüßen die Fortsetzung, oder besser gesagt, den Schlussteil unserer Hyperemesis-Geschichte. Tina |