Barbara |
Dieser Bericht ist von Barbara. Danke Barbara (22.11.2002) |
Liebe Chrissi, auch ich möchte erst einmal vielen Dank sagen für Deine Hyperemesis-Seite. Ich bin eine Betroffene, und mir hat es wirklich gut getan, von Deinen Erfahrungen und denen anderer Frauen zu lesen. Ich war nicht mehr so allein mit diesem Elend. Ganz so schlimm wie Dir ist es mir nicht ergangen, denn meine Krankheit hat nicht die gesamte Schwangerschaft angehalten. Mein erstes Kind habe ich 1997 bekommen. Ich hätte auf Übelkeit gefaßt sein können, denn meine Mutter hat bei Ihren zwei Kindern immer über die ganzen neun Monate erbrochen. Sie war aber wohl nicht so hinfällig - sie konnte spazierengehen. Ich jedenfalls rieb mir nach positivem Schwangerschaftstest die Hände: Mir ist nicht übel! Bis es dann schlagartig in der sechsten Woche begann und ganz schnell furchtbar wurde. Ich weiß, daß ich im Bett lag und mich nicht einmal auf die andere Seite drehte aus Angst, es werde mir noch schlechter gehen, oder auch aus Schwäche. Damals dachte ich, daß es jemandem, der mit einer Todkrankheit daniederliegt, auch nicht viel schlechter gehen könnte - nur mit dem Unterschied, daß dieser Mensch am Ende sterben wird. Und ich war doch "nur" schwanger - aus diesem Grund kann ja auch kein Außenstehender begreifen, daß die Frau in guter Hoffnung so am Ende ist. Ich hatte über ein Jahr sehnlich auf diese Schwangerschaft gewartet, und meine Ambivalenz dem Kind gegenüber war sicher nicht größer als dem Durchschnitt entspricht. Damals dachte ich, schlimmer gehts nimmer. Aber ich erinnere mich, daß ich doch so alle Woche einen Arbeitsversuch unternahm, wenn auch nach ein, zwei Tagen wieder abbrach, weil es einfach nicht ging. Immerhin war noch so viel Kraft übrig, daß ich es versuchte. Ich konnte auch mal einen Teller Kellogs mit Milch am Tag essen oder das Kartoffelpüree, das meine Mutter anbrachte, und wenn ich davon ein paar Löffel runterwürgte, ging es etwas besser. Die Infusionen mit Multibionta und Paspertin, die ich eine Zeitlang erhielt, halfen dagegen gar nicht. Vielmehr war schon der Weg in die Arztpraxis eine Tortur. Natürlich vertröstete man mich mit der Aussicht auf die 12. Woche, und tatsächlich kam da bei mir die Wende. Wenig später ging der Spuk vorbei, und obwohl ich später noch Beinödeme und ein Karpaltunnelsyndrom bekam, hatte ich am Ende das Gefühl, daß meine Schwangerschaft gar nicht so schlecht gewesen war. Mit dem zweiten Kind ließen wir uns Zeit und hätten gar keines gekriegt, wenn ich meinen Mann nicht beknetet hätte. Im Sommer 2001 erlitt ich allerdings zunächst eine Missed Abortion in der achten Woche. In dieser Schwangerschaft war mir nicht schlecht! Ich träumte nur zweimal, ich hätte Blutungen, und ärgerte mich beim Aufwachen über mich selbst, daß ich so einen haltlosen Mist träumte. Aber die Frucht starb wirklich, wenn auch ohne daß es geblutet hätte. Ich würde allerdings sagen, daß ich trotz erst großer Traurigkeit mit diesem Verlust später gut fertig geworden bin. Im Februar 02 war ich wieder schwanger, und in der sechsten Woche ging die Übelkeit los. Binnen weniger Tage war es so weit, daß ich gar nichts mehr bei mir behalten konnte. Ich quälte mich entsetzlich und war in Panik bei der Vorstellung, daß dieser Zustand jetzt sechs Wochen anhalten sollte. Ich bin von Beruf Ärztin, Fachrichtung Psychiatrie und Psychotherapie. Krankenhäuser liebe ich überhaupt nicht. Aber da meine Frauenärztin mit ihren Infusionen nichts ausrichtete und schließlich zur stationären Behandlung riet, überwand ich mich in dem Glauben, es könne nur besser werden. Am ersten Tag nach der Einweisung schien sich das auch zu bewahrheiten, aber schon bald ging es wieder bergab. Ich fing an zu brechen; schon der Lärm ringsum oder die eifrige Stimme meiner Bettnachbarin ließen mich loskotzen. Die Behandler waren ratlos. Was ich ihnen ankreide: Sie machten sich auch keine Gedanken, als ihr übliches Dauerinfusionsprogramm nichts half. Elektrolyte, Vitamine und als ich nicht mehr aufstand Heparin - aber nichts gegen diese grauenvolle Übelkeit. Ich machte zaghafte Vorschläge: Vomex, Paspertin, gar Psyquil? Wollen Sie Ihrem Kind schaden, war die Gegenfrage. Niemand schlug nach, ab welcher Dosierung eine Gefährdung des Kindes denn wohl zu befürchten war, niemand suchte nach neuen Wegen. Nach einer Woche packte ich mein Zeug und ging einfach heim. Nur eine Krankenschwester hat mein Leiden ernst genommen. Es war dies das Krankenhaus, in dem ich meine erste Entbindung und auch die Ausschabung nach dem Abort hatte. Meinen zweiten Sohn habe ich in einer andern Klinik geboren, weil ich zu diesen Leuten nicht zurück wollte. Ich schleppte mich jetzt in mein eigenes Bett, und da lag ich. Ich hatte kaum die Kraft, zur Toilette zu gehen. War bald auch nicht mehr nötig, weil ich nichts trank und somit nichts ausschied. Mein Mann bekam schließlich Angst und organisierte einen Allgemeinmediziner, der Hausbesuche machte und mir Infusionen anhängte, damit ich nicht ganz austrocknete. Dieser Arzt überlegte auch, was er denn noch für mich tun könnte, gab Vomex und Kreislaufmittel etc.. Obwohl nichts besonders anschlug, wußte ich zuschätzen, daß er sich soviel Mühe machte. Die einzige Linderung brachten mir 3 x 10 Tropfen Paspertin, die ich über den Tag verteilt nahm (also insgesamt soviel wie sonst eine Einzeldosis). Ohne das hätte ich gar nichts bei mir behalten können. Auch so klappte es nur selten. Es ging mir also noch viel schlechter als bei der ersten Schwangerschaft. Ich konnte kein Geräusch ertragen, kein Wort wechseln, mich nicht rühren, geschweige denn lesen oder fernsehen, wie wohlmeinende Menschen rieten. Es war auch nicht nach sechs Wochen vorbei. Es war etwas besser, so daß ich mir dann die Infusionen selbst setzte. Nach der sechzehnten Woche kam ich langsam wieder auf die Beine. Ich hatte aber noch lange einen schmerzenden Magen (wie nach Gastritis) und Geschmackstörungen. Trotzdem hatte ich jetzt geradezu eine Gier nach Essen. Ich hatte 8 kg abgenommen. Die Hyperemesis ist eine seltsame Krankheit. Man versteht sich selbst nicht mehr und ist geneigt zu glauben, daß man spinnt. Ich meine aber nach eingehender Introspektion behaupten zu dürfen, daß die psychischen Störungen nicht Ursache, sondern FOLGE der Hyperemesis sind. Tatsächlich, denke ich, geht die Erkrankung, wenn sie einen schweren Verlauf nimmt, auch mit psychischen Komplikationen einher. Ich war sicher sehr depressiv - Du ja auch mit den Suizidgedanken. Der Affekt erlahmte bei mir, mein heißgeliebter älterer Sohn war mir eine Last, ich war ganz erstarrt und im Denken eingeengt. Es war für mich eine Leidenserfahrung, die meinen Umgang mit meinen eigenen Patienten verändert hat. Ich versuche jetzt noch mehr als früher, jeden Patienten in seinem Leiden ernstzunehmen, auch wenn er seltsam erscheint, und ich versuche, ZU HELFEN und mich nicht damit zufriedenzugeben, daß der Patient sich vermutlich anstellt oder sich nicht genug anstrengt. Meine beiden Söhne sind gesund, der jüngere jetzt einen Monat alt. Ich wollte Dir schreiben, ehe die Erinnerung wieder verblaßt. Auch ich glaube wie eine Vorrednerin: Wer schon einmal gekotzt hat, soll sich bei der nächsten Schwangerschaft darauf einstellen, daß es wieder so kommt, und sich rechtzeitig über mögliche Maßnahmen informieren, auch einen Arzt suchen, der sich wirklich für dieses Leiden engagiert. Zu viele denken: Ach, die muß nur mal von zu Hause raus, oder stellen laienhafte Überlegungen an, was eine psychische Ursache angeht. Diese Kollegen verweise ich jetzt auf deine Internetseite. Das ist sehr angenehm, denn nun muß ich mich nicht mehr als die Märtyrerin der Nation schildern. Wen es wirklich interessiert, der soll bei Dir nachlesen und lernt hoffentlich dazu. Ich wünsche Dir und allen unsern Leidengenossinnen alles Gute. Viel Glück für Deine Familie und auch Dein Buch. Liebe Grüße, Barbara |