Chrissi hat mich gebeten auf Ihrer Hyperemesis Seite zu schildern wie ich das ganze, aus der Sicht des Ehemanns, erlebt habe.

Here we go:

Als Chrissi mit Lea, unserem ersten Kind, schwanger war und die Übelkeit in etwa der 5. SSW angefangen hat war das für mich noch "normal". Ich habe versucht Sie damit zu trösten das alle Schwangeren das durchmachen und das es ja spätestens in der 12. SSW zu Ende ist.

Pustekuchen !! Es kam die 12. SSW, die 14. SSW und die 16. SSW ohne Besserung !

Wir haben alles mögliche versucht und ich habe jeden Tag etwas neues zu essen oder trinken angeschleppt um zu testen ob ihr das vielleicht besser bekommt. (Wir haben glaube ich heute noch exotische Fruchtsäfte von damals im Vorrat !). Man(n) ist so hilflos weil das Gefühl von so extremer Übelkeit wohl kaum nachvollziehbar ist. Ich habe mir nur immer vor Augen gehalten das ich einmal mit Kollegen auf dem Mittelmeer Segeln war und in einen Sturm geraten bin. Damals war ich derartig Seekrank das ich Zeitweise lieber Tod gewesen wäre als weiter dieses schaukeln ertragen zu müssen. Diese Seekrankheit war aber nach 24 Stunden vorbei und ich konnte wieder meinen Segeltörn genießen !

Das ist übrigens eine Regel die ich sehr schnell gelernt habe: Versuche nie Hyperemesis mit irgend etwas anderem zu vergleichen ! Meine Frau ist regelmäßig ausgerastet wenn, jemand von seiner "ach sooo schlimmen Darmgrippe" erzählt hat und gemeint hat damit nachvollziehen zu können was Chrissi durchmacht. Ich kann nur allen Männern, Bekannten und Ärzten von Hyperemesis Patientinnen empfehlen sie einfach nur ernst zu nehmen und ihnen so gut wie möglich das Gefühl zu geben, daß man sich bemüht sie zu verstehen.

Irgendwann habe ich richtige Angst bekommen, daß ihr etwas zustößt oder das sie das Kind verliert und wollte, daß sie in stationäre Behandlung geht. Ich mußte Sie fast in das Krankenhaus prügeln weil sie partout nicht wollte aus Angst dort bis zum Ende ihrer Schwangerschaft zu bleiben. Als sie dann endlich dort war habe ich mich viel besser gefühlt weil man ja dann einen großen Teil der Verantwortung auf die Ärzte im Krankenhaus schieben kann.

Das sollte sich sehr bald als Trugschluß erweisen. Chrissi hat sich im Krankenhaus zwar sofort physisch besser gefühlt aber irgendwie hat sie keiner so richtig ernst genommen. Ich habe jeden Abend an ihrem Bett gesessen und versucht sie aufzubauen und Chrissi hatte eigentlich jeden Tag eine Story von einem unfähigen Arzt oder einer Schwester die einen dummen Spruch gemacht hat. Es soll jetzt nicht der Eindruck entstehen das alles im Krankenhaus schief gelaufen ist aber es wurde uns sehr schnell klar das keiner in seiner Ausbildung gelernt hat wie mit Hyperemesis Patientinnen umzugehen ist. Außer ihrem Tropf mit Vomex hat Chrissi eigentlich an keiner weiteren Behandlung teilgenommen, trotzdem haben die Schwestern jeden morgen, in aller Herrgotts Frühe darauf bestanden, daß sie aus dem Bett aussteigt und sich das Bett machen läßt. Bei dieser Aktion ist ihr natürlich prompt jeden Morgen das erste Mal der Hals übergelaufen und danach konnte sie nicht mehr einschlafen.

Ich war sehr froh das Chrissis FA ihr angeboten hatte jeden Tag eine Infusion ambulant in seiner Praxis zu verabreichen. Dadurch konnte Chrissi wieder nach Hause. Sie war sehr tapfer und ist jeden Tag zu ihrem FA. Manchmal konnte ich sie begleiten oder jemand aus der Familie hat sie gefahren aber meistens hat sie sich selbst per Fahrrad, Bus oder zu Fuß hingeschafft. Von da an war es "nur noch" ein zählen der Tage. Mal ging es Ihr besser und mal wieder miserabel. Sie hatte kaum Kraft mit mir eine Runde um die Häuser zu spazieren. Ich habe versucht ihr jeden Wunsch von den Lippen abzulesen aber sie hatte ja nur den einen, das es ihr nicht mehr schlecht sein sollte und da konnte ich ja nichts machen. Halt, das ist nicht ganz richtig. Ein zweiter Wunsch von Ihr war immer das sie von allen ernst genommen wird und keiner sagt das bei ihr ne Schraube locker ist. Es war sehr schwierig zwischen Ihr und dem Rest der Welt zu vermitteln weil sie nie mit jemanden sprechen konnte(ihr wurde es immer schlecht dabei) aber auf der anderen Seite das Gefühl hatte das keiner mehr an sie denkt. Dem war sicher nicht so, denn ich bin überall nach ihr gefragt worden und unsere Freunde und Bekannte waren wirklich besorgt. Das Problem war glaube ich eher das jeder weiß, wie man mit jemanden umgeht der nach einem schlimmen Unfall mit 80 Knochenbrüchen im KH liegt aber keiner Erfahrungswerte im Umgang mit Hyperemesis Patientinnen hat. Wahrscheinlich kann jeder der an einer exotischen Krankheit oder Behinderung leidet ein Lied davon singen wie schwer es der Gesellschaft fällt darauf adäquat einzugehen. Ich habe immer all unseren Freunden gesagt, das beste ist wenn ihr Chrissi eine kleine Karte oder einen Brief schreibt aber ich weiß von mir selbst, daß man so etwas immer vor sich her schiebt und dann doch nicht macht.

Chrissi ging es zum Ende der Schwangerschaft langsam besser und mußte zumindest nicht über die Problem, wie Rückenschmerzen durch Übergewicht oder Wasser in den Beinen, klagen die sonst die meisten schwangeren haben weil Sie ja soviel abgenommen hatte und gerade mal wieder ein paar Kilo über Ihrem Ausgangsgewicht lag.

Die Entbindung von Lea war dann, bis auf diesen blöden Dammschnitt, wie aus dem Bilderbuch. Lea war topfit und überhaupt das schönste Baby der Welt. Chrissi hat eine Weile gebraucht um zu realisieren das dieses süße Bündel der Grund für soviel Leid und Tränen gewesen sein soll. Sie war sehr erschöpft aber Ihr war endlich nicht mehr schlecht !!! Sie war sich völlig sicher, was auch immer geschehe, NIE WIEDER schwanger werden zu wollen.

Das Leben normalisierte sich wieder und Lea hat uns eine neue Dimension ins Leben gebracht. Wir haben viel über die Zeit der Schwangerschaft geredet und ich habe für mich festgestellt das vieles im Rückblick verschwimmt und gar nicht mehr so unwahrscheinlich schlimm aussieht.

Es kam wie es kommen musste und als Lea 3 Jahre alt war haben wir beschlossen das Wagnis Schwangerschaft erneut einzugehen. Die Hoffnung diesmal eine "normale" Schwangerschaft zu erleben war dominierend aber wir haben uns in unzähligen Gesprächen schon vorher bewusst gemacht, daß es wieder genauso schlimm kommen könnte. Und es kam schlimmer !!!!

Am Anfang war es nur ein bisschen Morgenübelkeit aber dann wurde es heftiger als ich es mir hätte vorstellen können. Chrissi hat nur noch gewürgt und nach ein paar Tagen, fast ohne jeden Schlaf, sah Sie schon aus wie der Tod. Im Vergleich zur ersten Schwangerschaft gab es einen gravierenden Unterschied und der war 3 Jahre alt und hieß Lea. Es ist natürlich, für so eine kleine Lady, nicht zu verstehen das die Person, die in den letzten 3 Jahren rund um die Uhr mit ganzem Herz für einen da war nun plötzlich keine Kraft mehr hatte auch nur "Piep" zu sagen. Nichts desto trotz war ich immer wieder begeistert wie selbstverständlich Lea mit der Situation umgegangen ist. Sie hat immer gesagt "Mama, wir pflegen dich schon !". Auf der anderen Seite war es schnell abzusehen das Chrissi es zu Hause nicht mehr lange schaffen würde weil Lea dann doch mal mit ihr spielen wollte oder einfach nur auf ihr rumgehüpft ist und irgendetwas mit ihr machen wollte. Ich habe Chrissi viel schneller als beim ersten mal ins KH gebracht weil ich die Hoffnung hatte das man die Übelkeit dann eher in den Griff bekommen könnte aber auch weil die Situation zu Hause ansonsten zu sehr eskaliert wäre.

Für mich begann nun der Eiertanz zwischen der Pflege meiner Frau im KH, der Sorge für mein Kind und meiner Arbeit, in der ich normalerweise regelmäßig auf Dienstreise war und häufig Überstunden gemacht habe. Vorab muß ich meinem Chef ein großes Kompliment machen denn er hat mir wirklich alle Türen geöffnet flexibel und sehr viel von zu Hause zu arbeiten. Ohne dieses Entgegenkommen hätte ich wahrscheinlich irgendwann völlig am Rad gedreht. Im großen und ganzen habe ich eigentlich von allen Seiten sehr viel Unterstützung bekommen. Ich kam überall in den Genuss der "tolle" alleinerziehende Mann zu sein, dessen Frau schwanger im KH ist und der ja nun alles allein machen muß ;-) . Mal ehrlich, wenn ich irgendetwas für mein Leben, in diesen 9 Monaten, gelernt habe, dann Respekt vor der Arbeit von Müttern und im besonderen vor der Leistung von alleinerziehenden Frauen die auch noch arbeiten gehen und trotzdem irgendwie alles geregelt bekommen. Ich habe mir eine Putzfrau bestellt die einmal die Woche unser Haus auf Vordermann gebracht hat, meine Mutter hat die Wäsche erledigt und ich hatte immer Freunde und Familie die mir angeboten haben Lea zu nehmen. Trotzdem hatte ich permanent das Gefühl nichts richtig erledigt zu haben. Ich bin von Termin zu Termin gehetzt und kam doch meistens zu spät um z.B. Lea beim Babysitter abzuholen oder mich mit Kollegen und Kunden zu treffen. Wenn ich dann bei Chrissi im KH war habe ich schon wieder auf heißen Kohlen gesessen, was auf sie gewirkt haben muss, als ob ich von ihr genervt gewesen wäre. Uns beiden war es sehr wichtig das Lea sich nicht abgeschoben fühlt. Ich habe versucht jede freie Minute mit meiner Tochter zu verbringen und ich war sehr überrascht wie viel dieses kleine Hirn schon verstanden hat. Nicht desto trotz verschwand ihre enorme Lebensfreude und ihre Augen haben nicht mehr so geleuchtet wie früher. Das hat mir schwer zu schaffen gemacht. Ich habe mich bemüht immer für einen längeren Zeitraum den selben Babysitter zu organisieren damit sie ein wenig Familien Gefühl dort mitbekommen kann und das hat eigentlich sehr gut geklappt. Richtig Angst hatte ich vor ihrem ersten Tag im Kindergarten, ohne Mama. Zum Glück lief das super. Sie hat sich dort gleich richtig wohl gefühlt und durfte nach 2 Wochen sogar regelmäßig zum Essen da bleiben.

Chrissi hingegen hat mir richtig Sorgen gemacht. Sie war am Ende. Keine Kraft mehr und kein Wille um weiter durchzuhalten. Sie wollte einfach das es vorbei ist und dafür gab es nur die Möglichkeit des Selbstmordes oder der Abtreibung. Ich habe Ihr gesagt das ich eine Abtreibung sehr wohl verstehen könnte und voll hinter ihr stehen würde um das zu rechtfertigen. Allerdings habe ich Ihr auch klar gesagt das ich mich dann auf keine weitere Schwangerschaft mehr mit ihr einlassen werde, weil man, meiner Meinung nach, nicht darauf Pokern kann das es beim nächsten mal besser werden könnte. Das kam bei ihr völlig in den falschen Hals und plötzlich hat sie sich auch noch von mir verlassen gefühlt. Es hat Tage gebraucht um wieder Vertrauen herzustellen und ich habe einmal mehr gelernt das Hyperemesis Patientinnen sehr sensibel sind.

Nach 3 Monaten (!) wurde sie aus dem KH entlassen und hat wieder ambulante Infusionen bei ihrem FA bekommen oder hat sich bei den netten Jungs vom ärztlichen Notdienst am Wochenende ihren Vomex Schuss in den Hintern geholt. Die Familie und unsere Freunde haben uns weiterhin toll bei allem unter die Arme gegriffen was zur Organisation des Lebens gehört hat. Nach wie vor hatte Chrissi aber das Gefühl von keinem verstanden zu sein. So hart es auch klingt mussten wir lernen das bei Krankheiten die sich so lange hinziehen viele Menschen anfangen die Beschwerden des Kranken als "Normalzustand" zu betrachten. Jeder zweite Kommentar war dann "na ja, bald hast Du es ja geschafft !" was einer Frau in der 32 SSW, die weiß das sie noch 8 bis 10 Wochen mit täglichem kotzen und völliger Kraftlosigkeit verbringen muß, kein großer Trost ist. Im Gegenteil, Chrissi hat es aggressiv gemacht und ich bin heute noch damit beschäftigt ihr zu versichern das diese Leute nicht bewusst gemein zu ihr sein wollten sondern das diese Reaktionen völlig normal für unsere Gesellschaft waren in der nur gesunde und glückliche Leute angesagt sind. Eine weitere Lektion für mein Leben ist in Zukunft meinen eigenen Umgang mit Kranken immer auf den Prüfstand zu stellen, ob ich diesem Menschen genügend Respekt entgegenbringe, daß er sich mit seinem Leiden ernst genommen fühlt.

Ich möchte nicht zu philosophisch werden und befürchte das ich eh und je schon viel zu viel geschrieben habe.

Schließlich und endlich hat Chissi unsere 2. Tochter zur Welt gebracht. Sie hat noch im Kreissaal gekotzt und sich ziemlich beschissen gefühlt. Als endlich der letzte Fuß von Carolin aus ihr heraus war hat sie sofort gejubelt, daß ihr nicht mehr schlecht ist. Sie hat noch im Kreissaal ein Mittagessen verputzt und sich darüber gefreut wie ein Kind über die Zuckerwatte auf den Rummel.

Carolin ist wie Lea ein gesundes und wunderschönes Mädchen und ich bin sehr stolz auf die beiden.

Noch viel mehr bin ich aber stolz auf meine tapfere Frau die zweimal durch die Hölle gegangen ist um diesen beiden kleinen Menschen das Leben zu schenken.

Ich danke allen die uns auf diesem Weg begleitet haben und Gott für die Kraft die er uns geschenkt hat.